Bei den Covid19-Maßnahmen gibt es derzeit zwei Sorten von Recht. Erstens, das gesatzte Recht in Form von Verordnungen oder Gesetzen, wie es sich für einen Rechtsstaat gehört. Zweitens, jene „Vorschriften“, welche die Politik in Pressekonferenzen und Interviews wie geltendes Recht darstellt, die aber nichts anderes sind als fromme Wünsche. Ein moralisierendes „man sollte…“ ersetzt aber nicht geltendes Recht und ist schon gar keine Grundlage für Strafverfügungen oder behördliche Anordnungen.
Besondere Situationen stellen natürlich eine Herausforderung für die Gesetzgebung dar. Welcher Pfusch aber hier aus den Ministerien kommt, ist unverantwortlich und untragbar. Hier eine kleine Chronik zur Illustration dessen, wie hier gefuhrwerkt wird. Der sogenannte „Ostererlaß“ war Auftrag des Gesundheitsministeriums an die Bezirkshauptmannschaften, eine Verordnung u.a. über die Beschränkung von (vereinfacht ausgedrückt) Familientreffen in Haushalten zu erlassen:
- Die Bezirkshauptmannschaften und Städte erlassen am 3. April entsprechende Verordnungen.
- Am Montag, den 6. April gibt das Gesundheitsministerium einen weiteren Erlass heraus, nach dem die erst wenige Tage alten Verordnungen wieder aufzuheben sind.
- Die Bezirkshauptmannschaften heben die Verordnungen zwischen 6. und 7. April wieder auf.
Als Grund für diese Volte gab Gesundheitsminister Anschober an, daß schon die bisher bestehenden Verordnungen für das Untersagen von Familienbesuchen u.ä. völlig ausreichten. Die Politik zieht sich also mit einer Ausrede aus der Affäre in der Annahme, der Staatsbürger werde dies als geltendes Recht hinnehmen und sich die Verordnungen nicht anschauen – und wenn er es tut, wird er sie schon nicht verstehen. Die Behauptung aber, private Treffen seien ohnehin schon verboten gewesen, ist natürlich blühender Unsinn, da die bestehenden Verordnungen eine solche (zumal verfassungswidrige) Handhabe gegen private Zusammenkünfte eben gerade nicht bieten.
Für die gegenteilige Behauptung Anschobers gibt es nur zwei Begründungen: Entweder er hat die Verordnungen nicht gelesen, oder er beabsichtigt eine Irreführung. Vollends lächerlich machte sich die Regierung schließlich durch eine sicherlich nicht billige Serie ganzseitiger Inserate auf Titelseiten der Tageszeitungen, mit denen geradezu flehentlich darum gebeten wurde, zu Ostern keine Familienbesuche abzuhalten. Eine Regierung muß aber nicht um Einhaltung einer Vorschrift bitten, es sei denn, eine solcheVorschrift existiert nicht.
Übrigens dürfte insofern auch keine Handhabe bestehen, eine auf Privatgrund abgehaltene „Corona-Party“ (wer erfindet eigentlich solche Begriffe?) aufzulösen oder zu verbieten.
Regierung am Rande des Nervenzusammenbruchs.
Der oben beschriebene „Ostererlaß“ ist schlechthin ein Beispiel dafür, wie sich eine Regierung lächerlich machen kann, wenn sie besonders große Entschlossenheit demonstrieren will. Die Verordnungen auf Grundlage des sogenannten Ostererlasses waren keine vier Tage alt, als sie bereits auf neuerlichen Erlaß hin aufgehoben werden mussten.
Wenn gewisse Einschränkungen oder Auflagen überhaupt einen Sinn hätten, dann nur, wenn sie möglichst früh getroffen werden. Das Vorgehen der österreichischen Regierung war und ist aber das, was man gemeinhin als „Salamitaktik“ bezeichnet, nämlich die schrittweise Verschärfung und Verlängerung der Maßnahmen und damit die schrittweise Zurücknahme vorheriger Versprechungen. (Die ursprüngliche Ankündigung, es werde keine „Ausgangssperren“ geben, war angesichts der kurz darauf verfügten Ausgangsbeschränkungen – d.h. einer bedingten Ausgangssperre – schlichtweg falsch: „Zur Verhinderung der Verbreitung von COVID-19 ist das Betreten öffentlicher Orte verboten.“)
Auffällig an sämtlichen Maßnahmen ist es, daß diese in den vergangenen Wochen umso drastischer wurden, je mehr das Infektionsrisiko zurückging und je länger die Infektionsrate ihren Höhepunkt überschritten hatte.
Die diversen Verordnungen und Verlautbarungen gehorchen wohl weniger einer bestimmten sachlichen als vielmehr einer politischen Notwendigkeit; auch scheinen sie einer gewissen Dramaturgie zu folgen, denn je länger die Maßnahmen andauern, desto länger kann sich eine Regierung als starke Kraft und Fels in der Brandung inszenieren.
Die Presse schweigt.
In einer funktionierenden Gesellschaft wäre eine unabhängige Presse bereits ohne viel Zurückhaltung über eine solche Politik hergefallen. Daß die Presse aber kaum Kritik an der Regierungsarbeit übt, könnte damit zusammenhängen, daß – im Zuge einer Welle von Gesetzesänderungen – völlig unbemerkt auch eine großzügige außerordentliche Maßnahme der Presseförderung beschlossen wurde. (Mit der Presseförderung werden übrigens nicht kleine mediale Nischenprodukte gefördert, sondern auflagenstarke Tageszeitungen, die auch ohne Presseförderung schon stattliche Gewinne machen.) Man könnte den Verdacht hegen, als wollte die Regierung durch diese Morgengabe eine besondere Linientreue der Presse belohnen, so wie sie es ja bereits durch teure großformatige Zeitungsinserate tut (siehe dazu auch: Reptilienfonds).
Daß medial keine Kritik an dieser Regierung geübt wird, mag auch daran liegen, daß die Medien eben diese Koalition eifrig herbeigeschrieben haben.
Legistischer Pfusch.
In welchem Tempo und wie unbedacht hier Normen und Verbote gesetzt werden, ist beispiellos. Eine Verordnung, mit der die „Maskenpflicht“ in Geschäften und den „Öffis“ ab Dienstag nach Ostern (14. April 2020) festgesetzt wurde, wurde am Gründonnerstag spät nachmittags (d.h. nach den Bürostunden) kundgemacht.
Dabei muß es den Verantwortlichen aber noch im letzten Moment siedend heiß eingefallen sein, daß für einen Verstoß gegen die „Maskenpflicht“ gar keine Sanktion vorgesehen war. Also schob man eilends eine weitere Verordnung nach, mit der Organstrafverfügungen ermöglicht wurden; d.h. Polizei und Ordnungsämter können auf dieser Grundlage sofort Ordnungsstrafen verhängen, etwa dafür, daß man die Schutzmaske nicht ordnungsgemäß trägt. Man kann annehmen, daß die Exekutive von dieser Bestrafungsmöglichkeit durchaus Gebrauch machen und dabei einen Grundsatz des Verwaltungsstrafgesetzes (VStG) verletzen wird, der schon seit einiger Zeit „Belehrung statt Strafe“ vorsieht und der gerade für solche minderschweren Verwaltungsübertretungen vorgesehen ist. Schon aus diesem Grund wäre es nicht uninteressant, die Zahlung der Organstrafverfügung zu verweigern und es auf eine Verwaltungsstrafe ankommen zu lassen.
Die Verordnung zu den Strafverfügungen wurde übrigens erst am Karfreitag kundgemacht. Es ist nicht nachvollziehbar, wie die breite Öffentlichkeit, für die diese Bestimmungen ja gedacht sind, in dieser Eile von den neuen Verpflichtungen Kenntnis erlangen sollte.
Dazu paßt auch, daß die grundlegende Verordnung bis einschließlich Ostermontag in der neuen, geänderten Fassung weder im Rechtsinformationssystem RIS noch in anderen Quellen vollständig zu finden war. Das heißt, daß selbst derjenige, der die Verordnung in neuester Fassung einmal zur Gänze lesen wollte, diese gar nicht finden konnte.
Und: Durch die allgemeine Maskenpflicht wird die Bevölkerungsmehrheit, die solche Masken nicht braucht, zum Tragen der Schutzmasken verpflichtet, was dort zu einer Verknappung von Schutzmasken führt, wo sie wirklich gebraucht werden.
Kryptisch währt am längsten.
Vom Gesetzgeber kann wohl nicht verlangt werden, daß er in der Eile seine Verordnungen auch noch verständlich abfasst. Daß man sich nicht mit dem komplizierten Begriff „Schutzmaske“ begnügt, ist klar, wenn es die ebenso kurze wie leicht merkbare Umschreibung „den Mund- und Nasenbereich gut abdeckende mechanische Schutzvorrichtung als Barriere gegen Tröpfcheninfektion“ auch tut. Als Beispiel für verständliche Textfassung sei aus der derzeit gültigen Verordnung nur wie folgt zitiert:
„(4) § 1 gilt unbeschadet Abs. 1 nicht für den Kundenbereich von sonstigen Betriebsstätten des Handels, wenn der Kundenbereich im Inneren maximal 400 m² beträgt. Als sonstige Betriebsstätten des Handels sind Betriebstätten zu verstehen, die dem Verkauf, der Herstellung, der Reparatur oder der Bearbeitung von Waren dienen. Sind sonstige Betriebsstätten baulich verbunden (z. B. Einkaufszentren), ist der Kundenbereich der Betriebsstätten zusammenzuzählen, wenn der Kundenbereich über das Verbindungsbauwerk betreten wird. Veränderungen der Größe des Kundenbereichs, die nach dem 7. April 2020 vorgenommen wurden, haben bei der Ermittlung der Größe des Kundenbereichs außer Betracht zu bleiben.“
Dabei handelt es sich nicht um irgendeine fachspezifische Norm, die nur für einen kleinen Kreis von Technikern bestimmt ist, sondern um eine Verordnung, die für jedermann Gültigkeit haben soll. Es sollte also auch dem Durchschnittsbürger möglich sein, eine im Grunde nicht allzu komplizierte Regelung zu verstehen. Wie der „Normadressat“ – das sind Sie! – die gesamte zitierte Verordnung und ihre Querverweise auf Anhieb verstehen soll, bleibt offen. Außerdem: eine Liste von Ausnahmen zu formulieren (§ 2) und gleichzeitig die Öffnung aller anderen Betriebe zuzulassen, sofern sie nur eine bestimmte Größe nicht überschreiten, ist der nächste systematische Unfug und ein weiterer Willkürakt.
Noch ein Leckerbissen – finden Sie den Fehler:
(7) In den Bereichen nach Abs. 1 Z 5 und 6 gelten
(Antwort: Eine Ziffer 3 hat es im Abs. 5 nie gegeben. Die Beachtung solcher Kleinigkeiten kann aber von legistischen Fachkräften wohl nicht verlangt werden.)
1. abweichend von Abs. 5 Z 1 die einschlägigen berufs- und einrichtungsspezifischen Vorgaben und Empfehlungen, und
2. Abs. 5 Z 2 und 3 nicht.
Höchste wirtschaftspolitische Kompetenz.
Die Bundesregierung gab sinngemäß bekannt, die Wirtschaft schön langsam, stufenweise wieder „hochfahren“ zu wollen. Solche zweckoptimistischen Ankündigungen sind nur verständlich, kommen sie doch von Menschen, die die Gesetzmäßigkeiten der Privatwirtschaft nicht kennen. „Die Wirtschaft“ aber ist keine Maschine, die man auf Knopfdruck einfach wieder in Gang setzt, wenn es einer Regierung so paßt. Vizekanzler Kogler glänzt geradezu mit ausgesuchter Unkenntnis der Geschichte der Zweiten Republik, wenn er – wie es die marxistische Lehre in solchen Fällen es geradezu vorschreibt – von der Möglichkeit einer Verstaatlichung bestimmter Betriebe spricht. (In Deutschland kursieren übrigens ähnliche Visionen.) Die Geschichte der österreichischen verstaatlichten Betriebe ist aber ein Musterbeispiel dafür, wie man vormals florierende private Betriebe in staatseigene Millionengräber verwandeln kann.
Was die Regierung unter einem „stufenweisen Hochfahren“ versteht, geht aus der neuen Fassung der neuen Verordnung vom 9. April hervor, in der der Kreis der nun wieder zugelassenen Betriebe erweitert wird. So dürfen z.B. nun auch die Baumärkte wieder öffnen. Vielleicht wird uns die Regierung gelegentlich den Sinn der bisherigen Schließung der Baumärkte erklären, d.h. ob die Infektionsgefahr in einem Lebensmittelgeschäft geringer ist als eben in einem Baumarkt – oder in einem der zahlreichen anderen bisher geschlossenen Betriebe.
Übrigens, wußten Sie schon, daß zu diesen Ausnahmebetrieben, die Kunden wieder einlassen dürfen, nun auch die Pfandleihanstalten und der Handel mit Edelmetallen gehören? Wenn nun auch das „Pfandl“ unter die systemnotwendigen Betriebe fällt, dann kann die Regierung nicht mehr leugnen zu wissen, daß Teile der Bevölkerung durch die Covid19-Maßnahmen in arge wirtschaftliche Bedrängnis geraten.
Der Willkür Tür und Tor geöffnet.
Es ist leider nicht anzunehmen, dass die behördliche Willkür aufgrund der nunmehr geänderten Verordnung abnehmen wird. Es bleibt daher dabei:
Haben Sie eine Strafverfügung für z.B. das Benützen eines Klettersteigs erhalten – fechten Sie sie an!
Haben Sie eine Strafverfügung erhalten, weil Sie außerhalb Ihres Bundeslandes unterwegs waren – fechten Sie sie an!
Haben Sie eine Strafverfügung erhalten, weil Sie auf einer Einkaufsfahrt über die Bezirksgrenze gefahren sind – fechten Sie sie an!
Haben Sie eine Strafverfügung erhalten, weil Sie vor Gültigkeit der entsprechenden Verordnung beim Einkauf keine „Schutzmaske“ getragen haben – fechten Sie sie an!
Haben Sie vor Gültigkeit der entsprechenden Verordnung eine Strafverfügung bekommen, da Sie zu zweit, z.B. mit einem Arbeitskollegen im Auto unterwegs waren – fechten Sie sie an!
Die Zahl der Anlaßfälle, in denen ohne rechtliche Grundlage oder ohne jede Verhältnismäßigkeit hohe Verwaltungsstrafen verhängt wurden, ließe sich noch fortsetzen, und es steht zu befürchten, daß die Praxis überzogener Verwaltungsstrafen anhält. Daher: Bleiben Sie wachsam und hinterfragen Sie eine allfällige Strafverfügung auf ihre gesetzliche Grundlage.
Stand: 16.04.2020
MS
NS: Eine unserer Klientinnen erhielt bei Rückreise aus dem Ausland ein Formular, mit dem sie sich durch Ankreuzen eines Kästchens dazu verpflichtete, eine 14-tägige Heimquarantäne einzuhalten. Die Abgabe dieser Erklärung – ohne die eine Einreise womöglich verweigert worden wäre – erfolgte ohne jede rechtliche Belehrung und ohne Auskünfte darüber, was bei einer solchen Heimquarantäne zu beachten ist. Nachfrage bei der Bezirkshauptmannschaft ergab keine eindeutigen Auskünfte und schon gar keinen Verweis auf bestimmte Rechtsquellen; zur Abkürzung der Quarantäne könne man sich aber testen lassen. Als die Mandantin einen solchen Test machen wollte, hieß es dazu nur, daß das nicht gemacht werde, solange keine Symptome vorliegen.
Würden Sie gerne unter Hausarrest gestellt werden ohne zu wissen, was Sie dann von Gesetzeswegen tun und lassen dürfen?