Corona-Karneval. Chronik eines Scheiterns.

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Die derzeit noch amtierende Regierung klammert sich verzweifelt an das einzige Thema, das dieses Koalition noch zusammenhält: Covid-19, vulgo Corona. Die umfassenden Einschränkungen in den ersten zwei, drei Wochen waren aufgrund der vielleicht neuartigen Situation noch verständlich und als Beobachtungszeitraum gerade noch zu rechtfertigen. Aber alles, was danach an Verordnungen und Gesetzen fabriziert wurde, war und ist nur mehr der leicht durchschaubare und nachgerade peinliche Versuch, die politischen Fehleinschätzungen und falschen Entscheidungen dadurch zu kaschieren, indem man einfach nicht vom Standpunkt abrückt, daß die Bedrohung längst vorüber ist.

Erst als sich weite Teile der Bevölkerung längst infizieren hätten können – wir erinnern uns: Einkäufe waren lange Zeit ohne Mundschutz möglich, und die Infektionszahlen schnellten nicht nach oben, im Gegenteil sanken sie – kamen immer neue und immer weitere Einschränkungen, die durch die sogenannte Lockerungs-Verordnung auf verfassungswidrige Weise sogar in den Privatbereich hineingriffen.

Lockerung heißt nicht Vereinfachung!
Nun versteht der Normalbürger unter einer Lockerung gemeinhin eine Vereinfachung. Falsch geraten! Je mehr sogenannte Lockerungen verfügt wurden, desto länger wurde die Verordnung! Der Skandal dabei ist, daß es in Wirklichkeit keine Veranlassung zu einer „Lockerung“ gibt, sondern nur mehr zur ersatzlosen Aufhebung der bisherigen, völlig überschießenden Auflagen, die unser tägliches Leben in unzulässiger Weise einengen. Warum aber die Verordnungsschwemme? Weil eine Regierungsmannschaft, die völlig überzogen und despotisch reagiert hat (wir erinnern uns: Bundeskanzler Kurz drohte mit einer horrenden Sterberate), ein Eingeständnis eines Fehlverhaltens scheut wie der Teufel das Weihwasser. Je länger die Auflagen bleiben, desto länger läßt sich der Schwindel, die Regierung habe unser aller Leben gerettet, aufrecht erhalten – so wird wohl spekuliert.

Das Problem dieser Regierung ist evident: wäre ein Eingeständnis eines Fehlverhaltens vor zwei Monaten noch kritiklos hingenommen worden, so wird es mit jedem Tag und jeder weiteren Änderung der Lockerungs-Verordnung schwieriger, den längst fälligen Rückzug anzutreten. Allerdings: ohne Gesichtsverlust geht es nun nicht mehr. Diese Regierung ist nicht nur rücktrittsreif, sie ist geradezu zum Rücktritt verpflichtet.

Neben den zahlreichen Arbeitslosen, die diese Regierung durch den oktroyierten „Lockdown“ zu verantworten hat, hat sie auch noch die Satiriker arbeitslos gemacht, denn welches Kabarett, welche Faschingssitzung, welcher Satiriker kann einen solchen Verordnungs-Wahnwitz noch überspitzen? Da sind alle Lacher schon drin, weitere satirische Übertreibung unnötig – ich zitiere aus dem Bundesgesetzblatt 266 vom 13. Juni 2020 (übrigens ein Samstag):
§ 8 lautet nun in Abs. (3) „Bei der Sportausübung durch Spitzensportler gemäß § 3 Z 6 BSFG 2017, auch aus dem Bereich des Behindertensports, kann der Abstand von zwei Metern unterschritten werden, wenn ein verantwortlicher Arzt ein dem Stand der Wissenschaft entsprechendes COVID-19-Präventionskonzept zur Minimierung des Infektionsrisikos ausgearbeitet hat und der dessen Einhaltung laufend kontrolliert. Vor erstmaliger Aufnahme des Trainings- und Wettkampfbetriebes ist durch molekularbiologische Testung nachzuweisen, dass Sportler, Betreuer und Trainer SARS-CoV-2 negativ sind. …“
oder:
In § 10 Abs. 1 wird nach dem Wort „Hochzeiten“ ein Beistrich und das Wort „Begräbnisse“ eingefügt. Na also, auch Begräbnisse zählen jetzt zu den Veranstaltungen – offen ist nur, in welche Kategorie sie fallen: „Als Veranstaltungen im Sinne dieser Verordnung gelten insbesondere geplante Zusammenkünfte und Unternehmungen zur Unterhaltung, Belustigung, körperlichen und geistigen Ertüchtigung und Erbauung.“
oder:
§ 10 Abs. 10 wird folgender Satz angefügt:„Für Orchester in fixer Zusammensetzung gilt § 8 Abs. 3 letzter Satz sinngemäß.“ [Ist für die Auslegung der „fixen Besetzung“ der OGH oder das Institut für Musikkunde zuständig?]
oder:
„§ 11 (2a) Die Pflicht der Einhaltung eines Abstandes von einem Meter gilt nicht, wenn dies die Vornahme religiöser Handlungen erfordert.“ (Ich empfehle bei jeder Abstandsunterschreitung ein Kreuzzeichen.)
und schließlich:
„In § 11 Abs. 4 wird nach dem Wort „erbringen“ die Wortfolge „sowie unter Wasser“ eingefügt.“

Ein Ende dieses Unfugs ist nicht in Sicht. Die Bunkermentalität dieser Regierung läßt dies auch gar nicht zu.

Es fällt einem Juristen schwer, sich mit einem solchen gesetzgewordenen Schwachsinn noch ernsthaft auseinanderzusetzen, wenn Inhalt und legistische Qualität dieser offensichtlichen Verordnungs-Schnellschüsse (für die den Ministerien übrigens ausreichend Zeit zur Verfügung steht!) bei wirklich böswilliger Betrachtung den Verdacht aufkommen lassen könnten, daß sie nicht von Erwachsenen, sondern an einem „bunten Abend“ einiger Maturaabbrecher verfaßt wurden. An die Herren Kurz, Kogler, Anschober und Nehammer: Treten Sie zurück! Selbst ein Metternich hat irgendwann eingesehen, daß seine Zeit vorbei ist.

Addendum: Die Lockerungsverordnung war offenbar nicht locker genug, weshalb eine erneute Maskenpflicht als weitere Ergänzung der Lockerungsverordnung eine Verschärfung bringen muß. Alles klar? Gemäß der deutschen Redensart „Rin aus die Kartoffeln, raus aus die Kartoffeln“ geht’s nun bei uns: Rauf mit der Maske, runter mit der Maske, rauf … Bewegung ist gesund.

Zum Abschluß noch eine kleine Aufstellung des Verordnungsirrsinns (aktualisiert am 31.07.2020):

BGBl. II Nr. 98/2020              15.03.2020             Verordnung des Bundesministers für Soziales, Gesundheit, Pflege und Konsumentenschutz gemäß § 2 Z 1 des COVID-19-Maßnahmengesetzes
                351 Wörter nach 5 Änderungen (einschl. mehreren Verlängerungen der Geltung):
19.03.2020             BGBl. II Nr. 107/2020
20.03.2020             BGBl. II Nr. 108/2020 berichtigt mit BGBl. II Nr. 166/2020 vom 21.04.2020
09.04.2020             BGBl. II Nr. 148/2020
18.04.2020             BGBl. II Nr. 162/2020 berichtigt mit BGBl. II Nr. 166/2020 vom 21.04.2020
30.04.2020             BGBl. II Nr. 197/2020 – (obsolete) Aufhebung durch COVID-19-LV

BGBl. II Nr. 96/2020              15.03.2020             Verordnung des Bundesministers für Soziales, Gesundheit, Pflege und Konsumentenschutz betreffend vorläufige Maßnahmen zur Verhinderung der Verbreitung von COVID-19
                533 Wörter nach 6 Änderungen (einschl. mehrerer Verlängerungen der Geltung):
20.03.2020             BGBl. II Nr. 110/2020
22.03.2020             BGBl. II Nr. 112/2020
02.04.2020             BGBl. II Nr. 130/2020
09.04.2020             BGBl. II Nr. 151/2020
18.04.2020             BGBl. II Nr. 162/2020
30.04.2020             BGBl. II Nr. 197/2020

BGBl. II Nr. 197/2020            30.04.2020             COVID-19-Lockerungsverordnung – COVID-19-LV
               2.119 Wörter (erste Fassung)
BGBl. II Nr. 207/2020            13.05.2020             Änderung der COVID-19-Lockerungsverordnung
               2.875 Wörter (136 % zur 1. Fassung der LV)
BGBl. II Nr. 231/2020            27.05.2020             2. COVID-19-LV-Novelle
BGBl. II Nr. 239/2020            28.05.2020             3. COVID-19-LV-Novelle
               3.299 Wörter (156 % zur 1. Fassung der LV)
BGBl. II Nr. 246/2020            29.05.2020             4. COVID-19-LV-Novelle
                3.339 Wörter (158 % zur 1. Fassung der LV)
BGBl. II Nr. 266/2020            13.06.2020             5. COVID-19-LV-Novelle
                3.506 Wörter (ohne Anmerkungen über aufgehobene Passagen; 165 % zur 1. Fassung)
BGBl. II Nr. 287/2020            29.06.2020             6. COVID-19-LV-Novelle
                3.929 Wörter (ohne Anmerkungen über aufgehobene Passagen; 85% länger als die 1. Fassung)
BGBl. II Nr. 299/2020            02.07.2020             7. COVID-19-LV-Novelle
                3.997 Wörter
BGBl. II Nr. 332/2020            22.07.2020             8. COVID-19-LV-Novelle
                4.065 Wörter (Gratulation, wir nähern uns dem Duplum!)
BGBl. II Nr. 342/2020            29.07.2020            9. COVID-19-LV-Novelle
               (Die Neufassung der Verordnung, seit 30.07.2020 in Geltung, sucht man im Rechtsinformationssystem www.ris.gv.at übrigens noch am 03.08.2020 vergebens. Der gesetzestreue Bürger kann also das Gesetz, dem er treu sein möge, gar nicht finden. Conclusio: Der Staat, im Gegensatz zum Bürger, darf ohne Konsequenzen schlampen.)

Stand: 01. Juli 2020 (aktualisiert 03.08.2020)
MS

Die noch amtierende Regierung verschwendete ein Drittel eines Jahres mit einer beispiellosen Regelungsschwemme. Corona, das unpolitische Feindbild, wurde zum koalitionären Kitt einer Regierung, die sich vor wichtigeren Themen drückt. Die Art ihrer (womöglich verfassungswidrigen) Gesetzgebung spottet dem Vertrauensgrundsatz:
Die ersten beiden COVID-Verordnungen vom 15. März – die Infektionswelle hatte ihren Höhepunkt schon überschritten – wurden binnen zwei Wochen fünf- bzw. sechsmal (!) novelliert und dabei ihre Geltung verlängert. Statt sie weiter zu verlängern folgte die nun schon berüchtigte, teils wortgleiche COVID-19-Lockerungsverordnung, die u.a. die „Lockerung“ brachte, daß nun auch auf Märkten Maskenpflicht galt. Man mag die Panik, in der das Gesundheitsministerium die Lockerung verordnete, daran messen, daß die Lockerungsverordnung in der Nacht zum 1. Mai, kaum zwei Stunden vor ihrer Gültigkeit kundgemacht wurde. 
Aber auch die noch junge Lockerungs-VO wurde seit Kundmachung schon viermal novelliert, besser: repariert, geflickt. Ist das seriöse Gesetzgebung – oder Strategie, das Thema Covid ständig am Köcheln zu halten? Mit jeder weiteren „Lockerung“ verlängerten sich die Geltung der Verordnung und die Verordnung selbst. Kein Wunder: 11 Punkte für normgerechtes Ver-halten im Wirtshaus, 8 Punkte für Hotels, 5 Punkte mit 8 Unterpunkten für’s Sporteln, nicht weniger als 12 Punkte plus Unterpunkte für Veranstaltungen. Die jüngste Fassung ist um die Hälfte Länger als die Urfassung. Der Gesetzgeber steht vor dem selbstgemachten Problem, jeden Handgriff des täglichen Lebens zu regeln und dabei fassen zu wollen, was nicht zu fassen ist. 
Hinzu kommt: Die Regeln sind für den „Normunterworfenen“ (das sind Sie!) nahezu unverständlich, obwohl unser alltägliches Leben davon bestimmt wird – von den Redaktionsfehlern und Widersprüchen (z.B. Maske am Markt, nicht aber an der Theke u.a.m.) ganz zu schweigen.
Das nun angekündigte Ende der Mundschutzpflicht, für die die Wissenschaft schon seit zwei Monaten keine Notwendigkeit mehr sieht, wird als Gnadenakt dargestellt. Aber nicht die Lokkerungen sind zu rechtfertigen, sondern jeder weitere Tag der Einschränkungen. Der Normalzustand ist unverzüglich wieder herzustellen.
Anmerkung zu diesem Gastkommentar in der Kleinen Zeitung:
Der letzte Satz des Entwurfs lautete „Der Normalzustand ist unverzüglich wiederherzustellen.“ und wurde (es gilt die Unschuldsvermutung auch für eine Zeitungsredaktion) wohl nur aus satztechnischen Gründen unterschlagen. Bei Verwendung des vorgeschlagenen Titels für die Glosse „Corona-Gesetzespfusch“ wäre allerdings auch für den letzten Satz des Entwurfs Platz gewesen…