„Mir scheint, ich hab dem Kafka doch Unrecht getan“, wird ein politischer Häftling in Torbergs „Tante Jolesch“ zitiert. Wie in Kafkas verschlungenen Erzählungen kommt man sich auch in Corona-Zeiten vor. Folgende Anfrage erging an das Gesundheitsministerium:
„Sehr geehrte Damen und Herren!
Ich setze die Rechtssprechung des Verfassungsgerichtshofes zu diversen COVID19-Verordnungen als bekannt voraus und fasse hier nur so viel zusammen, daß diese Verordnungen ohne jede inhaltliche Überprüfung bereits deshalb aufgehoben wurden, da seitens des hier adressierten Ministeriums keine ausreichende oder überhaupt keine Begründung für die erlassenen Verordnungen oder Teile davon vorgelegt wurde.
Ich vertrete eine Reihe von Klienten, die in verschiedener Hinsicht von den diversen COVID19-Verordnungen sowie von den Änderungen des Epidemiegesetzes 1950 direkt betroffen sind. Eine Schilderung der einzelnen Sachverhalte kann vorläufig unterbleiben.
Ich darf Sie daher aus berechtigtem Interesse höflich ersuchen, mir die Verordnungsakten zu nachstehenden Verordnungen bzw. einzelnen Bestimmungen hieraus in Kopie zukommen zu lassen:
COVID-19-Maßnahmenverordnung, Fassung BGBl. II Nr. 463/2020
COVID-19-Notmaßnahmenverordnung, Fassung BGBl. II Nr. 528/2020
2. COVID-19-Notmaßnahmenverordnung, Fassung BGBl. II Nr. 17/2021
Aufgrund der direkten Betroffenheit meiner Mandanten von den genannten Verordnungen und aufgrund der Tatsache, daß nunmehr schon der dritte sogenannte Lockdown verordnet und zwischenzeitig mehrmals verlängert wurde, ist das adressierte Ministerium verpflichtet, gegenüber dem Normunterworfenen die Rechtmäßigkeit der erlassenen Verordnungen nachzuweisen und weise ich bereits jetzt darauf hin, daß Informationsbroschüren, Presseaussendungen und Mitteilungen bei Pressekonferenzen nicht dem Rechtsbestand angehören und die Begründung einer – zumal verschiedene Grundrechte einschränkende – Verordnung selbstredend nicht ersetzen.
Ferner liegt mir ein Schreiben einer Kärntner Gemeindeverwaltung vor, mit dem Gemeindemitarbeiter angewiesen werden, alle Todesfälle, die innerhalb einer Frist von 28 Tagen nach einem positiven COVID19-Test eintreten, ungeachtet der tatsächlichen Todesursache als COVID19-Todesfälle zu verzeichnen sind. Dies könnte z.B. aber auch dazu führen, daß ein Verkehrstoter Eingang in die COVID19-Statistik findet, was von den verantwortlichen Stellen wohl nicht gewollt sein kann.
Auch wenn sich dieses Schreiben auf eine Weisung der Landessanitätsdirektion bezieht, ist nicht anzunehmen, daß hier eine singuläre Weisung einer Landesverwaltung vorliegt. Sie wollen mir daher Auskunft darüber erteilen, ob diesem Vorgehen eine Empfehlung oder eine Weisung des adressierten Ministeriums zugrunde liegt und, falls dies zutrifft, auf welcher wissenschaftlichen Grundlage dies erfolgt.“
Hier die Schein-Antwort (20.01.2021):
„Sehr geehrter Herr Mag. Seeber,
zu den von Ihnen geforderten Begründungen dürfen wir Sie auf die Website des Sozialministeriums verweisen, auf welcher ua. die rechtlichen Begründungen zur 3. COVID-19-SchuMaV sowie zur 2. COVID-19-NotMV (inkl. Novelle) zu finden sind: https://www.sozialministerium.at/Informationen-zum-Coronavirus/Coronavirus—Rechtliches.html
Zu einer darüber hinausgehenden Gewährung von Einsicht in interne Akten ist das BMSGPK nicht verpflichtet. Wir dürfen aber klarstellen, dass wir die Judikatur des VfGH in unseren legistischen Prozessen berücksichtigen.
Zu Ihrer Frage bzgl COVID-19-Toten darf auf die Definition der AGES hingewiesen werden:
„Definition „Verstorben“: COVID19 Tod ist definiert – für Surveillance-Absichten – als ein laborbestätigter Fall von COVID19 mit Ausgang Tod, wobei zwischen Status „Erkrankung“ und Status „Tod“ der Status „Genesen/Geheilt NICHT vorgelegen hat.“ Siehe hierzu https://covid19-dashboard.ages.at/basisinfo.html
Hierzu sei hinzuzufügen, dass zwischen COVID-Toten im Sinne der Behörde (etwa am Dashboard der AGES) und der Erfassung von COVID als Todesursache aus medizinischer Sicht unterschieden werden muss.
Wir hoffen, wir konnten mit den Ausführen [sic!] behilflich sein.
Beste Grüße
S7″
Abgesehen davon, daß man, wenn man selbst namentlich auftritt, Anspruch auf Kenntnis des Sachbearbeiters haben sollte (und nicht von Herrn/Frau/Roboter „S7“) angesprochen werden sollte, ist diese Antwort die reine Chuzpe:
Es ist beruhigend, daß „wir die Judikatur des VfGH in unseren legistischen Prozessen berücksichtigen“ – nur tut der Gesundheitsminister durch seine laufend verfassungswidrigen Verordnungen eben genau das nicht, weil mangels jedweder Begründung bisher eben keine Überprüfung möglich war, ob unsere Grundrechte täglich angemessen und verhältnismäßig beschnitten werden.
Außerdem ist das Ministerium „zu einer darüber hinausgehenden Gewährung von Einsicht in interne Akten“ sehr wohl verpflichtet. Dies ermöglicht nämlich das Auskunftspflichtgesetz. Der Minister überläßt es also wieder lieber dem Verfassungsgerichtshof, zum x. Male – und freilich erst, wenn es längst zu spät ist – Verordnungen aufzuheben, weil sie nicht einmal begründet sind. (Wird fortgesetzt.)
Erkundigen auch Sie sich bei den Behörden, auf welcher Grundlage Ihre Grundrechte täglich eingeschränkt und verletzt werden! Das Auskunftspflichtgesetz verpflichtet die Organe des Bundes, binnen längstens acht Wochen Auskunft „über Angelegenheiten ihres Wirkungsbereiches“, d.h. etwa über die Erlassung von Verordnungen zu erteilen. Nutzen Sie dieses Recht, wenn Sie sachliche Anfragen zu Verordnungsbegründungen und anderen sachbezogenen Angelegenheiten haben. (Auf Landesebene gibt es ähnliche Gesetze, die Land, Bezirkshauptmannschaft und Gemeinde zur Auskunft verpflichten.)
MS
Stand: 20.01.2021