Seit vollen drei Jahren zeigt sich der Rechtsstaat mit all seinen Institutionen von seiner sonnigen Seite, Ende oder Einsicht nicht abzusehen. Vorwärts immer!
Kleiner Rückblick. Als uns die mit unendlicher Weisheit begnadete Regierung zum ersten Male einsperrte (herrliches Gefühl: nicht im Gefängnis, aber doch nicht frei), gestattete ich mir, den Präsidenten der Österreichischen Rechtsanwaltskammer (kurz: ÖRAK) auf gewisse Eingriffe in Grund- und Freiheitsrechte hinzuweisen (25.03.2020). Antwort: keine.
Das von ebendieser Rechtsanwaltskammer herausgegebene „Anwaltsblatt“ kam in den Jahren zuvor immer wieder schneidig mit Parolen und Bekenntnissen daher wie:
– „Rechtsanwälte als Hüter der Grundrechte“ (05/2017),
– „Es ist nicht genug, dass unsere Verfassung die Bürger vor der Willkür der Staatsmacht schützt“ (01/2018),
– „Art 94 B-VG verteilt und begrenzt gleichzeitig die Macht im Staat: zur Sicherheit von Freiheit und Gleichheit, zum Schutz vor Willkür der Staatsmacht“ (04/2018, Anm.: Oho!),
– „2018 kann ein bedeutendes Meilensteinjahr für die Rechtsstaatlichkeit werden“ (11/2018, Anm.: die Meilensteine wurden dann ab 2020 gesetzt)
– „Die Achtung und Verteidigung der Grund- und Freiheitsrechte ist uns Rechtsanwälten enorm wichtig. Einigen politisch Verantwortlichen in unserer Republik ist diese Errungenschaft demokratischer Staaten scheinbar wenig wert.“ (03/2019)
– „Einen Pakt für den Rechtsstaat – das braucht unser Land.“ (09/2019)
– „Unser Rechtsstaat braucht mehr Mut und mehr Einsatz. … Es braucht einen echten Schulterschluß zur Verbesserung der Rechtsstaatlichkeit in unserem Land.“ (10/2019)
Ab 2020 plötzlich waren Schönwetterparolen dieser Art im Anwaltsblatt nicht einmal mehr per PCR-Test (der doch sonst wirklich alles findet) nachweisbar. Der Duktus wurde der Großen Zeit angepaßt:
„Bei Verfassung dieses Editorials trat gerade der vierte bundesweite Lockdown in Kraft. … Es wäre gefährlich, würde das Volk die Maßnahmen der Regierung nicht mittragen.“ (Dr. Rupert Wolff, 01/2022)
„Das Grundkonzept des EpiG ist streng. Es fordert von den Behörden ein unverzügliches und entschlossenes, ja geradezu „hartes“ Eingreifen.“ (Dr. Mathis F., S. 21).
Dixerunt.
Wozu die lange Einleitung? Weil unsere hochwohllöbliche Standesvertretung zum Entwurf des Krisensicherheitsgesetzes, mit dem – gelernt ist gelernt – unter beliebigem Vorwand wieder einmal jedes Grundrecht suspendiert werden kann, nichts anderes zu sagen hat als:
„Gegen den vorliegenden Entwurf bestehen seitens des ÖRAK keine grundsätzlichen Bedenken. … Wie die Corona-Krise gezeigt hat, kommt betreffend Akzeptanz und Wirksamkeit von Maßnahmen dem Verständnis der Öffentlichkeit große Bedeutung zu. … Von den Gremien müssen deshalb laufend Diskussionsprotokolle geführt werden, die von der Öffentlichkeit auch bis einige Zeit nach der Krise online eingesehen werden können, dies soweit Geheimhaltung nicht nötig ist. Zu den Diskussionsprotokollen muss die Bevölkerung (zB via Eingabemaske) Stellung nehmen können. Stellungnahmen haben wiederum in die Diskussion der Gremien einzufließen.“
(Frage: Wurde auch nur eine einzige ablehnende Stellungnahme zum Impfpflichtgesetz, zum Krisensicherheitsgesetz etc. etc. auch nur ignoriert?)
Wir lernen: Unrecht darf Unrecht bleiben, wenn’s nur schön transparent ist (Schauprozesse sind ja auch etwas sehr Transparentes). Und weil wir aus der Covidl-Krise so viel gelernt haben, heißt es hier statt „nie und nimmer“ nur submissest „ja und amen“. Hier spricht immerhin, wehrhaft und wacker, der Österreichische Rechtsanwaltskammertag für alle seine Mitglieder.
Das war’s. (c Bundeskanzler Scholz) Und weil dann Krise ist, wenn die Regierung sagt: Krise, können wir uns schon auf die nächsten Lockdowns samt Zwangsgewalt einstellen. Wird auch Ihnen unwohl, wenn Sie Leute wie Söder sagen hören: „Der Klimawandel ist nach Corona die nächste pandemische (sic!) Herausforderung“? (Frage: Wann sind Sie das letzte Mal an Klima erkrankt?)
„Was hier vor sich geht, ist die schamloseste Rechtsbeugung seit dem Ende des Dritten Reiches. Das ist kein Skandal mehr, das ist ein lautloser Putsch von oben, der den Rechtsstaat punktuell außer Kraft setzen will.“
Ingomar Pust, 1987, zu den Entwicklungen im Lucona-Skandal, in der Volkszeitung (Klagenfurt).
Zum Abschluß kommen wir zum eingangs versprochenen Begriff „Katastrophen“. Es geht um die Katastrophenausschlußklausel der Rechtsschutzversicherungen. Darüber ist schon viel geschrieben worden, daher hier nur ein Schlaglicht darauf, woraus der Herr Richter ableitet, daß der Covidl einfach eine Katastrophe darstellen muß:
Auch eineinhalb Jahre nach Epidemiebeginn war aus den Medien erkennbar, dass Menschenschädigungen durch an- und abflauende Epidemiewellen erfolgen.
Bezirksgericht für Handelssachen Wien, 6C 25/23 d
Na, wenn’s die Medien sagen!
Da haben Sie die unanfechtbaren Quellen richterlichen Wissens.
Jeder Baumeister wird Ihnen bestätigen, daß ein abbruchreifes Gebäude immer von oben her abgetragen wird. So wie der Rechtsstaat.
Stand: 05.04.2023
MS
Für Leser mit Zeitüberschüssen hier nochmals die Auszüge aus dem Editorial des Österreichischen Anwaltsblatts:
Editorial 02/2014 Dr. Rupert W.
… wenn es darum geht, gegen Hypertrophie aufzutreten und gemeinsam für die Grund- und Freiheitsrechte der Unionsbürger einzutreten.
Editorial 05/2017 Dr. Bernhard F.
Die Rechtsanwälte als Hüter der Grundrechte
Wir lesen und hören davon, daß der Rechtsstaat in der Defensive ist und der Gesetzgeber systematisch in Grund- und Freiheitsrechte einzugreifen versucht. Diese Eingriffe haben nach der Meinung vieler bereits unerträgliche Ausmaße erreicht. Dabei gaukelt die Politik den Bürgern vor, daß durch ein Mehr an Überwachung ihre Sicherheit garantiert werden könne.
Editorial 10/2017 Dr. Rupert W.
Gemeinsam – für den Rechtsstaat!
Editorial 01/2018 Dr. Bernhard F.
Es ist nicht genug, dass unsere Verfassung die Bürger vor der Willkür der Staatsmacht schützt und das die in den Verfassungsgesetzen formulierten Grundrechte die Grenze staatlicher Eingriffe in Freiheits- und Grundrechte bestimmen.
Editorial 04/2018 Dr. Rupert W.
Art 94 B-VG verteilt und begrenzt gleichzeitig die Macht im Staat: zur Sicherheit von Freiheit und Gleichheit, zum Schutzvor Willkür der Staatsmacht.
Editorial 09/2018 Dr. Rupert W.
Dem Thema Rechtsstaatlichkeit wollen wir uns konzentriert am diesjährigen Anwaltstag in Wien widmen. Gerade anläßlich des 100. Jahrestages der Gründung der Republik Österreich sollten wir uns der Bedeutung des Rechtsstaates bewußt sein.
Editorial 11/2018 Dr. Rupert W.
… 2018 kann ein bedeutendes Meilensteinjahr für die Rechtsstaatlichkeit werden. … Darüber wachen wir.
Editorial 02/2019 Dr. Rupert W.
Der Rechtsstaat im Fokus
… Es ist erfreulich zu sehen, wie sich der Verfassungsgerichtshof um die Aufrechterhaltung der rechtsstaatlichen, verfassungskonformen Ordnung bemüht. … Die Erledigungsquote stieg gegenüber dem Vorjahr um 21,2%, die durchschnittliche Verfahrensdauer sank auf 140 Tage. … Mit dem Thema „Rechtssaat“ wird sich auch die 47. Europäische Präsidentenkonferenz der Rechtsanwaltsorganisationen … befassen.
Editorial 03/2019 Dr. Bernhard F.
Die Achtung und Verteidigung der Grund- und Freiheitsrechte ist uns Rechtsanwälten enorm wichtig. Einigen politisch Verantwortlichen in unserer Republik ist diese Errungenschaft demokratischer Staaten scheinbar wenig wert.
Editorial 05/2019 Dr. Rupert W.
Rechtsstaatlichkeit (Überschrift)
Editorial 09/2019 Dr. Rupert W.
Einen Pakt für den Rechtsstaat – das braucht unser Land.
Editorial 10/2019 Dr. Rupert W.
Schulterschluß für den Rechtsstaat
… Unser Rechtsstaat braucht mehr Mut und mehr Einsatz. … Es braucht einen echten Schulterschluß zur Verbesserung der Rechtsstaatlichkeit in unserem Land.
Editorial 02/2020 Dr. Bernhard F.
Das Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofs, mit dem unter anderem die Überwachung verschlüsselter Nachrichten durch Bundestrojaner verboten (wird) …, ist ein Sieg für die allgemeinen Grund- und Freiheitsrechte.
Editorial 11/2020 Dr. Rupert W.
Rechtsstaat sind wir alle. (folgt Zitat des VfGH-Präsidenten aus der ÖjZ)