Lesen Sie noch Zeitung oder denken Sie schon selbst?
Sinnerfassendes Lesen kann offenbar nicht einmal mehr in den Zeitungsredaktionen vorausgesetzt werden, andernfalls wären Artikel wie dieser (bzw. hier) nicht möglich. Titel: „Lehrer ließ Tochter nicht in Schule gehen!“ Skandalöses muß sich da abgespielt haben! Hat er sie eingesperrt?
Hinter dem Artikel steht einmal mehr die beliebte Kärntner Bildungsdirektion, die unser Qualitätsmedium (Sie lachen?) wieder als Stadtgalgen benutzt, um zur Abschreckung des Publikums einen Abweichler medial aufzuhängen. Anders ist die Informationsinkontinenz der Bildungsdirektion (BD) nicht erklärbar. Weit weisen wir allerdings die Verwendung des Begriffs journalistische Bettnässer (c Wolfgang Fellner) von uns.
Die Frage, warum den öffentlichen Schulen scharenweise Schüler in Richtung häuslicher Unterricht und Privatschulen davonlaufen, wird natürlich nicht gestellt. Aber sehen wir uns, so weh es auch tut, diesen aus der güldenen Feder eines Herrn Martinz geflossenen Artikel vom 25.01.2024 näher an, der nur deshalb mit Hilfe eines hatscherten Symbolbildes auf zwei Seiten aufgeblasen wird, damit man seine Einseitigkeit nicht gleich merke:
„Jahrelang schickte ein Kärntner Lehrer seine eigene Tochter nicht zur Schule.“ | Ja, Herr Martinz, und dies sogar in Ausübung des Rechts auf häuslichen Unterricht. Dies erschließt sich bei sinnerfassendem Lesen sogar aus dem Gesetz! |
„Nun musste das Bundesverwaltungsgericht ein Machtwort sprechen.“ | Nach diesseitiger Kenntnis sprechen Gerichte Urteile. Vielleicht hat der Herr Martinz den alttestamentarischen Donnerhall vom „Machtwort“ aber bei der BD abgeschrieben. Oder die KI war schneller. |
„Die Schülerin … fiel in Mathematik mit Bomben und Granaten durch.“ | Keine Zeit für sachliche Feststellungen über dieses einzigen „nicht genügend“, Kriegsberichterstatter Martinz war offenbar persönlich dabei. |
„Jeder hat sich an Gesetze zu halten und jedes Kind hat ein gesetzlich geregeltes Recht auf Bildung.“ | Sehr richtig, Frau Bildungsdirektorin Penz. Ebenso hat jedes Kind Anspruch darauf, unter bestimmten Voraussetzungen den häuslichen Unterricht in Anspruch zu nehmen. Aber warum sich mit Details verzetteln? |
„Das Mädchen besuchte die Schule aber weiterhin höchst selten. Der Direktor der Neuen Mittelschule erstattete pflichtgetreu wieder und wieder Anzeige…“ | „Pflichtgetreu!“ Es gibt noch Helden! Und dazu Vokabular aus Stahlgewittern! |
„Gegen den Lehrer wurden auch dienstrechtliche Konsequenzen geprüft, die Juristen sahen dafür aber keine Handhabe.“ | Deutlich prangt ein großes ungedrucktes „leider“ zwischen den Zeilen. Höchste Zeit für neue Gesetze zur Etablierung einer Gesinnungsjustiz. Zadić, übernehmen Sie! |
„Das Kind stieg in die 4. Klasse auf und der Vater begehrte von der BD erneut Heimunterricht.“ | Gratuliere, Herr Martinz! Schon in der dritten Spalte die erste richtig wiedergegebene Tatsache! (Wie die BD mit Ansuchen auf häuslichen Unterricht umgeht – siehe unten.) |
„Als dies abgelehnt wurde, beantragte er Freistellungen an jedem Dienstag und Mittwoch. Das Kind sei musikalisch begabt und müsse da an einer Musikschule Violine und Flöte lernen, argumentierte er.“ | Botschaft: Das Hascherl ist ja so begabt! Der Leitspruch der Kleinen Zeitung „Volles Geld für halbe Wahrheiten“ schlägt wieder durch: Tatsächlich qualifizierte sich die Schülerin an der Gustav Mahler Privatuniversität für das Exzellenzcluster Musik mit Aufnahme in das ECM-Advanced-Programm für gleich zwei Instrumente (!), was jetzt aber für die Katz‘ ist: Zweimal wöchentlich zwei Stunden Anfahrt zur Universität sind beim Regelunterricht nicht drin. Also, Mädel: Bleib brav und durchschnittlich! |
„Der Vater … wollte wieder den Heimunterricht erzwingen.“ | Wer wird sich bei der „Kleinen“ eine tolle G’schicht durch Recherche runieren? Das hätte ja bloß ergeben, dass der gesetzlich vorgesehene Rechtsweg im Wege ordnungsgemäßer Eingaben und Beschwerden beschritten wurde. Aber wozu denn störende Details? |
„Sein Motiv ist selbst der Gerichtskorrespondenz nicht zu entnehmen.“ | Der „Gerichtskorrespondenz“ vielleicht nicht, vielleicht aber dem Beschwerdevorbringen. Das eine Spalte zuvor geschilderte Motiv hat Herr Martinz inzwischen wieder vergessen. (Nicht überanstrengen!) |
Es folgt die Wiedergabe einer sehr originellen Gesetzesauslegung durch Behörde und Bundesverwaltungsgericht (BVerwG), nämlich, daß dann, wenn der häusliche Unterricht einmal nicht gewährt wird, dieser auf Dauer der Schulpflicht nie mehr zu gewähren ist. Das BVerwG befindet zum betreffenden Gesetz: „Dieser Bestimmung kann nicht entnommen werden, dass diese Anordnung nur für einen bestimmten Zeitraum oder nur für bestimmte Teile der (restlichen) Schulpflicht gelten soll.“
Das Gesetz sagt aber nur, „Die Bildungsdirektion hat die Teilnahme an einem solchen Unterricht zu untersagen und anzuordnen, dass das Kind seine Schulpflicht im Sinne des § 5 [Schulbesuch, Anm. MS] zu erfüllen hat, wenn…“, d.h. das Gesetz sagt auch nicht, daß die Untersagung auf Dauer zu erfolgen hätte. Bloß das Gericht, treuer Diener seines Herrn, muß es so sehen.
Ein aufgelegter Fall für die Höchstgerichte, nur: Erstens hat das BVerwG die ordentliche Revision nicht zugelassen, zweitens wollte der Familienvater begreiflicherweise nicht noch mehr Geld für das Verfahren aufwenden – zumal VfGH und VwGH bei allem, wo nur entfernt ein Covidl-Hintergrund zu wittern ist, bedingungslose Polit-Justiz üben. Außerdem hatte das Schuljahr 2023/24 längst begonnen.
Endlich Meinung!
Fünf Spalten lang mühte sich Herr Martinz, mit dem Hemd und dem Charme des Holzknechts, die Tendenz wie Berichterstattung aussehen zu lassen, aber in der sinnig „Aufwecker“ benannten Kolumne (es ist Fasching!) darf er die Tendenz endlich als Meinung ausgeben. Da wollte er poltern! Es kam nicht mehr als der übliche Meteorismus.
Und musste Herr Martinz ausgerechnet mit der Überschrift „Missbrauchtes Grundrecht“ daran erinnern, wie das Grundrecht der Pressefreiheit mit solcher Gedankenjauche mißbraucht wird? Noch schnell die Gelegenheit genützt, den Familienvater – tatsächlich ein engagierter Lehrer und Unternehmer – erneut in die Nähe des eigenbrötlerischen Asozialen zu rücken. Und der Herr Martinz glaubt, er mache es besonders geschickt, wenn er zunächst konzediert, „Das Recht auf häuslichen Unterricht ist ein wichtiges Grundrecht“ (Da schau her!), nur um dann einzuschränken, dass es „nicht von gewissen Gruppierungen missbraucht“ werden dürfe. Was „gewisse Gruppierungen“ sein sollen, lässt sich beim eingeschränkten Horizont der Kleinen Zeitung denken. Und wozu wird missbraucht? Natürlich – bitte nur keine Quellenangaben – „um einem Kind soziale Kontakte oder den Zugang zur Meinungsvielfalt zu nehmen“. Ja, wird den Kindern von „gewissen Gruppierungen“ gar der Zugang zur Kleinen Zeitung verwehrt?!
In Kenntnis des tatsächlichen Sachverhaltes – der Familienvater wurde von unserer Kanzlei in Sachen Schulrecht vertreten – sieht die Geschichte ein klein wenig anders aus, als es die Karawanken-Pravda darstellt. Aber es ist nicht das erste Mal, dass man in der Zeitung die eigene Causa nicht wiedererkennt.
Dafür übrigens, wie die Behörden die Externistenprüfung tatsächlich handhaben, haben wir Beispiele – ohne zu generalisieren, aber auch ohne Anspruch auf Vollständigkeit, wie etwa:
Erste Externistenprüfung, erste Frage an einen elfjährigen Schüler: „der weibliche Zyklus“. Der völlig konsternierte Schüler – in allen anderen Fächern „sehr gut“ – fällt durch. Die Wiederholungsprüfung besteht er natürlich mit „sehr gut“, nur leider, leider zu spät: die Behörde setzte den Termin natürlich nach Semesterbeginn an. Somit lag der positive Abschluss nicht rechtzeitig vor – Pech gehabt, häuslicher Unterricht untersagt!
…geht mancher Schuß daneben.
Die „Kleine“ und ihr Martinz legen aber noch eins drauf (31.01.2024): Diesmal „rasselte“ die Schülerin durch die Externistenprüfung (einen Wortschatz hat ihm seine KI vielleicht!). Und prompt folgen jene Falschinformationen, auf die der kleine Abonnent Anspruch hat:
– „das Gesetz“ sehe bei Nichtbestehen „auf Dauer“ den Präsenzunterricht vor (falsch: siehe oben);
– der Lehrer habe der BD wegen eines Photos mit Klage gedroht (falsch: das hat er nicht).
Folgen Ausführungen dazu, es sei wohl ein Widerspruch, daß der Lehrer sich im „Schulsystem wohlfühle“ (wer sagt das?), aber die Tocher trotzdem nicht in die Schule schickt. Daß ein Lehrer sich aber deshalb im bestehenden System engagiert, weil er die Umstände zum Guten verändern will, und gute Gründe hat, gerade wegen derzeitiger Zustände sein Kind nicht diesem System anzuvertrauen, ist für BD und Herrn Martinz zuviel Denkarbeit.
Und dieser Lehrer biete auch noch Seminare mit „fragwürdigen Titeln“ an! So fragwürdig, daß man sie der Leserschaft nicht nennt. Die Behauptung soll ja nicht überprüfbar sein.
Und schließlich darf das Erklärungskastl „Sonderbericht über Motive“ (der Schwurbler/Abweichler, Anm. MS) nicht fehlen, damit das betreute Denken den richtigen Drall bekommt und der dargestellte Lehrer entsprechend eingeordnet wird. (Ein „Sonderbericht über Motive“, warum die Kleine „Zeitung“ überhaupt noch Leser hat, wäre willkommen.)
Recht aktuell ist die Sache freilich nicht: das BVerwG hat schon im September 2023 entschieden. Aber die Zeit ist günstig, selbstdenkenden Eltern schon jetzt für das Schuljahr 2024/25 die Lust am häuslichen Unterricht zu verderben. (Fehler in der Strategie: Selbstdenker lesen die „Kleine“ nicht.)
Die Klein(zeitungs)geister haben gesprochen.
Wieder machte sich die Kleine „Zeitung“ als Hauspostille der BD verdient, anders wäre der rasche Informationsfluß nicht erklärbar. (Richtig, eben jene „Kleine“, die sich ihre Covidl-Förderungen redlich verdiente, indem sie z.B. jenes Bild vom nicht getesteten Schüler, der im Winter eine Schularbeit im Freien schreiben durfte, mit der Anklage „Was die Pandemie mit uns macht“ versah, wobei ihr schlichtes Gemüt es nicht fassen konnte, daß Freiluft-Schularbeiten bei Minusgraden nicht von Pandemien, sondern von Trotteln angeordnet werden.)
Jedenfalls wissen Redakteure, deren Tätigkeit sich scheints im Umformulieren von Presseaussendungen der BD erschöpft, auch ohne Fakten Bescheid, denn der betroffene Familienvater und sein Rechtsvertreter wurden in altgewohnter Manier vor Erscheinen beider Artikel natürlich nicht gefragt. Das ist jene journalistische Sorgfalt, mit der sich die Herrschaften[*] von der Presse das neue Schandgeld der „Qualitäts-Journalismus-Förderung“ verdienen wollen.
Medienrechtlich wird es also einiges zu tun geben.
In der Gewissheit aber, daß keiner meiner Leser auch nur einen Groschen für den Bezug der Kleinen „Zeitung“ ausgibt, erübrigt sich mein Aufruf, ein solches Abonnement sofort zu kündigen.
Stand: 01.02.2024
MS
* Hinweis: Bis zum 27.02.2024 stand an Stelle dieses Euphemismus‘ der bekanntlich von Karl Kraus auf die Presse gemünzte Begriff „Meinungsh****„, der angesichts der oben geschilderten unverblümten medialen Meinungsmache auf Regierungslinie gegen Empfang von Presseförderung und Qualitätsjournalismusförderung – sie will verdient sein – verständigen Kreisen der Leserschaft begreiflich erscheinen könnte. Da eine solche Äußerung sich nach Einzelmeinungen nicht gezieme und da Angehörige des Medienwesens, die zwar gerne austeilen, aber – außer bei Förderungen – ungern einstecken, nun Anstoß nehmen, wird der zuvor verwendete historische Begriff „Meinungsh***“ hier vorläufig nicht verwendet. Der Anstand verbietet es, in diesem Zusammenhang den wiederum Karl Kraus (allerdings fälschlich) zugeschriebenen Aphorismus, „Was trifft, trifft auch zu“, zu zitieren.