Ersitzung bedeutet den Erwerb eines Rechtes durch dessen langjährige Ausübung – allerdings unter der Voraussetzung des „guten Glaubens“, d.h. unter der Annahme, dieses Recht auch tatsächlich ausüben zu dürfen. Dies spielt häufig eine Rolle bei der Ausübung eines Wegerechts, wenn ein Weg über lange Jahre benutzt wird und man dabei davon ausgeht, daß man dazu auch berechtigt ist. Sobald man allerdings weiß, daß man dieses Recht eigentlich gar nicht ausüben dürfte oder auch nur Zweifel an der Rechtmäßigkeit hat, dann fällt der gute Glaube (die Redlichkeit) weg, und eine Ersitzung ist nicht mehr möglich. Soweit die rechtlichen Voraussetzungen.
In einer vor den OGH getragenen Rechtssache war ein Streit um eine Fahrbahn im Grenzbereich zweier Liegenschaften anhängig. Es wurde die Ersitzung eines Wegerechtes behauptet. Im Laufe der (30-jährigen) Ersitzungszeit wurde der Ersitzende im Zuge von Streitigkeiten von den Nachbarn zweimal darauf hingewiesen, daß er den Grenzbereich nicht befahren dürfe – wenn nicht auch die Nachbarn im Gegenzug die Fahrbahn auf seiner Liegenschaft benutzen dürften. Diese Hinweise konnten also als eine Art Bedingung aufgefaßt werden, jedoch nicht als unmißverständliche Untersagung der Nutzung. Daher war der gute Glaube des Ersitzenden – so die Ansicht des Gerichtes – auch nicht beeinträchtigt, d.h. er mußte keine Zweifel über seine Redlichkeit haben; schließlich hätten die Eigentümer auch sonst keine Handlungen gegen seine Nutzung gesetzt, die beim Ersitzenden zumindest Zweifel hätten aufkommen lassen (z.B. durch die Errichtung eines Zaunes oder einer Absperrung). Der OGH (10 Ob 101/15y) wies die Revision gegen die so lautende Rekursentscheidung zurück, da deren Rechtsansicht im Einzelfall vertretbar sei.
Daraus leitet sich für die Praxis ab: mißverständliche Hinweise auf eine widerrechtliche Nutzung können dazu führen, daß der gute Glaube eines Nachbarn, der sich auf Ersitzung berufen will, aufrecht bleibt. Wer eine Ersitzung verhindern will, wird daher gut beraten sein, den Betreffenden deutlich darauf hinzuweisen, daß das von ihm angenommene oder behauptete Recht nicht besteht (etwa durch ein anwaltliches Schreiben), und nötigenfalls auch (im Rahmen des Erlaubten) die vermeintliche Rechtsausübung zu behindern, etwa durch Schranken, Absperrungen o.ä.; schließlich kommen auch Unterlassungs- oder Besitzstörungsklagen in Betracht.