In jedem Fall angeschmiert: Zur Haftung der Schilehrer.

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Haften Schilehrer und Schischulen bei einem Unfall in jedem Fall? Eine OGH-Entscheidung vermittelt diesen Eindruck, denn wieder einmal stellt sich der OGH schützend vor jene, die bei einem Schaden zuallererst eines suchen: einen Schuldigen – daß der Schuldige aber vielleicht eigentlich etwas Nützliches getan und größeren Schaden abgewendet hat, kann man dabei getrost übersehen. Ein Kabinettstück in der Entscheidung 1 Ob 186/16h.

Der Sachverhalt kurz gefaßt: ein Schilehrer gibt einer blutigen Anfängerin ersten Unterricht. Dabei sieht er einen anderen Schifahrer mit größerem Tempo herankommen und stößt die Anfängerin zu Boden, um eine drohende Kollision zu vermeiden; dabei verletzt sie sich. Der rasende Schifahrer passiert die beiden kurz darauf nur auf Armlänge – es hätte also zu einem Unfall mit verheerender Wirkung für die Anfängerin kommen können. Zum Dank für sein geistesgegenwärtiges Verhalten wurde der Schilehrer (und mit ihm die Schischule) mit einer Klage auf Schadenersatz/Schmerzengeld konfrontiert.

Zunächst die Sachverhaltsschilderung im Wortlaut des OGH: „Die Klägerin, eine Anfängerin, buchte in der Schischule des Zweitbeklagten Privatunterricht, den der Erstbeklagte erteilte. Sie fuhr in Schneepflugtechnik sehr langsam auf den rechten Pistenrand zu. Der Erstbeklagte, der nur etwa eine Armlänge von ihr entfernt war, bemerkte aus dem Augenwinkel, dass im Nahbereich ein Schifahrer mit großen Tempo von oben kommend auf die beiden zufuhr. Da er annahm, dass es zu einem Zusammenstoß mit der Klägerin kommen werde, wenn sie weiter in Richtung des Pistenrandes fährt, versetzte er ihr einen Stoß, durch den sie umfiel. Aufgrund seiner rasch durchgeführten Aktion kam auch der Erstbeklagte (ungewollt) zu Sturz und fiel auf die Klägerin, die dabei Bänderverletzungen im Knie erlitt. Der andere Schifahrer fuhr schließlich nach einer nicht feststellbaren Zeitspanne in einem Abstand von 50 bis 75 cm an den beiden vorbei. Es kann weder festgestellt werden, wie weit er bei Erkennbarkeit als potentielle Gefahrenquelle von der Klägerin entfernt war, noch welche Geschwindigkeit und Fahrlinie er eingehalten hat.
Die Klägerin begehrt von den Beklagten zur ungeteilten Hand die Zahlung von noch 18.383,81 EUR samt Zinsen sowie die Feststellung ihrer Haftung für zukünftige auf den Unfall zurückzuführende Schäden. Der Erstbeklagte habe sie zu Sturz gebracht und so ihre Verletzungen verursacht.“

Schilehrer und Schischule wandten natürlich als Rechtfertigungsgrund ein, daß sie einen viel schlimmeren Schaden von der Anfängerin abgewendet haben (was sehr wahrscheinlich erscheint); dies muß für den OGH (und die Vorinstanzen) aber noch lange nicht einleuchtend sein. Es wird nämlich die Meinung vertreten, der Schilehrer müsse bei einer herannahenden Gefahr abwägen, was die möglichen Konsequenzen sein könnten und ob er die Anfängerin in eine gefährliche Lage bringen solle, die vielleicht zu einer Verletzung führen kann. Eher noch solle sich der Schilehrer dem herannahenden Schifahrer in den Weg stellen, als die Anfängerin aus der Gefahrenzone zu stoßen. Festgehalten werden muß, daß die vorliegenden Betrachtungen im großen Ganzen schon in der ersten Instanz (und nicht erst vom OGH) angestellt wurden.

Wir schließen daraus, daß der verantwortungsvolle Schilehrer also bei einer drohenden Gefahr an Ort und Stelle – vielleicht gar mit der Schischule – eingehend darüber beraten soll, was hier das richtige Vorgehen ist, in sich gehen soll, ob er die Situation nicht vielleicht falsch einschätzt, und zu guter Letzt vielleicht auch noch Rücksprache mit seinem Rechtsanwalt über die möglichen Rechtsfolgen seines Handelns halten möge – schließlich stehen dem Schilehrer für seine Entscheidung, seinen Schützling aus einer möglichen Gefährdungslage zu bringen, doch ganze vier Sekunden zum Überlegen zur Verfügung!  Dabei möge auch noch überlegt werden, ob der herannahende Schifahrer nicht vielleicht doch noch abbremsen oder ausweichen kann.
Daß den Gerichten nach einem Unfall genügend Zeit zur Verfügung stehen wird, genüßlich rechtsdogmatische Überlegungen anzustellen, sollte im entscheidenden Moment vielleicht auch noch bedacht werden. Diese lesen sich dann z.B. so: Der Schilehrer „habe jedoch nicht beweisen können, dass die „Notwehrhandlung“ (der vermeintlich rettende Schubser, Anm.) aus einer Ex-ante-Betrachtung auch unter objektiven Kriterien notwendig gewesen wäre. […] Entgegen § 1298 ABGB sei er seiner Beweispflicht für das fehlende Verschulden nicht nachgekommen.“
Ein Irrsinn? Richtig.

Anstatt korrekterweise zu erkennen, daß zulässige Nothilfe vorlag, lassen die Gerichte diejenigen, die geistesgegenwärtig einen größeren Schaden abgewendet haben dürften, mit einer erheblichen Schadenersatzverpflichtung zurück. Freilich, jegliche Körperverletzung ist zu Recht unzulässig – wenn sie aber das geringere Übel ist, wird sie nicht vielleicht hinzunehmen sein?.
Was aber wäre die Alternative für den Schilehrer gewesen? Er stößt die Anfängerin nicht aus der Gefahrenlinie, es geschieht ein Unfall mit wahrscheinlich schwereren Folgen und – haftet mit großer Wahrscheinlich wiederum, da er seine Aufsichts- und Sorgfaltspflichten mißachtet und die Anfängerin nicht aus der Gefahrenlage gebracht hat. Wie sagt der Volksmund: „Wie man’s macht, is‘ falsch.“

Ja, ein Schuldiger kann also immer gefunden werden. Und: ja, für Unternehmer (und wenn es nur eine Schischule ist) gilt der Generalverdacht, daß ihm doch irgendein Fehlverhalten vorzuwerfen sein muß. Denn das Unternehmertum ist noch nicht genug bestraft.
MS

gesetzliche Grundlagen der Entscheidung: § 1295 ff ABGB, § 1311 ABGB, § 1325 ABGB, § 3 StGB